Herzensworte im April 2020

Pandemiebedingt konnte unsere Veranstaltungsreihe “Herzensworte” 2020 und 2021 nicht stattfinden.  Im April 2020 hatten wir uns deshalb entschlossen, einige „Herzensworte“ auf unsere Homepage zu stellen.

 

Christentum

„Um die neunte Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eli, Eli, lema sabachtani?, das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Aus dem Matthäus – Evangelium: Kapitel 27, Vers 46) (Mt 27,46)

„Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Mit diesen Worten hauchte er den Geist aus.“ (Aus dem Lukas – Evangelium: Kapitel 23, Vers 46) (Lk 23,46)

Bei diesen beiden neutestamentlichen Bibelstellen handelt es sich um die sogenannten „letzten Worte Jesus am Kreuz“. Bewusst haben die Verfasser hier Zeilen aus dem alttestamentlichen Buch der „Psalmen“ verwendet. Das Alte Testament, genauer gesagt das 1.Testament ist bis heute ein gemeinsames wichtiges Fundament zwischen Juden und Christen.

Mich sprechen die zwei Worte aus den Evangelien in diesen bewegten Tagen besonders an. Ich spüre keinen Widerspruch, wohl aber eine Spannung zwischen den Texten. Aber gerade deshalb kann ich mich gut „einklinken“, ja – fallen lassen in diese Worte hinein. Hier fühle ich mich auf gehoben: Mit meinen Fragen, Zweifeln, Hadern sowie meiner Ohnmacht und Angst – aber auch mit meinem Glauben, meinem Vertrauen, meiner Hoffnung. Alles hat hier seinen Platz, ohne Wertung. Alles darf sein. Es ist pulsierendes Leben, „Leben in Fülle.“

Bahá`í

Die Beschäftigung mit dem geistigen Leben tritt in unserer turbulenten Zeit und den vielen Herausforderungen des Alltags oftmals in den Hintergrund. Die jetzige Krise bietet – trotz aller Schwierigkeiten und Belastungen – die Chance, Gewohnheiten zu entwickeln und zu vertiefen, um das Wesentliche in unserem Leben in den Vordergrund zu stellen: nämlich das Bewusstsein, dass wir geistige Wesen sind und einer Menschheitsfamilie angehören:

Das Höchste Wesen spricht: Selig und glücklich ist, wer sich erhebt, dem Wohle aller Völker und Geschlechter der Erde zu dienen. An anderer Stelle hat Er verkündet: Es rühme sich nicht, wer sein Vaterland liebt, sondern wer die ganze Welt liebt. Die Erde ist nur ein Land, und alle Menschen sind seine Bürger.

Bahá’u’lláh, Ährenlese, 117

Als Baha`i beten wir für das Wohlergehen der gesamten Menschheit und schöpfen Kraft aus der aktuellen Botschaft des höchsten Bahá`i-Gremiums:

“Wie schwierig die Dinge derzeit auch sein mögen und wie nahe einige Teile der Gesellschaft auch an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht werden – die Menschheit wird letztlich durch diese Feuerprobe gehen und daraus mit größerer Einsicht und mit einem tieferen Verständnis für die ihr innewohnende Einheit und gegenseitige Abhängigkeit hervortreten.“ (aus der Botschaft der Internationalen Bahá`i-Gemeinde im März 2020)

“O Du gütiger Herr! Du hast die ganze Menschheit aus dem gleichen Stamm erschaffen. Du hast bestimmt, dass alle der gleichen Familie angehören. In Deiner heiligen Gegenwart sind alle Deine Diener, die ganze Menschheit findet Schutz in Deinem Heiligtum. Alle sind um Deinen Gabentisch versammelt; alle sind erleuchtet vom Lichte Deiner Vorsehung.

O Gott! Du bist gütig zu allen, Du sorgst für alle, Du beschützest alle, Du verleihst allen Leben. Du hast einen jeden mit Gaben und Fähigkeiten ausgestattet, und alle sind in das Meer Deines Erbarmens getaucht.

O Du gütiger Herr! Vereinige alle. Gib, dass die Religionen in Einklang kommen und vereinige die Völker, auf dass sie einander ansehen wie eine Familie und die ganze Erde wie eine Heimat. O dass sie doch in vollkommener Harmonie zusammenlebten!

O Gott! Erhebe das Banner der Einheit der Menschheit.

O Gott! Errichte den Größten Frieden.

Schmiede Du, o Gott, die Herzen zusammen.

O Du gütiger Vater, Gott! Erfreue unsere Herzen durch den Duft Deiner Liebe. Erhelle unsere Augen durch das Licht Deiner Führung. Erquicke unsere Ohren mit dem Wohlklang Deines Wortes und beschütze uns alle in der Feste Deiner Vorsehung.

Du bist der Mächtige und der Kraftvolle, Du bist der Vergebende und Du bist der, welcher die Mängel der ganzen Menschheit übersieht.”

Abdu´ l Bahá

“O Herr! Zu Dir nehme ich Zuflucht und auf Deine Zeichen richte ich mein Herz.

O Herr! Ob auf Reisen oder zu Hause, in meinem Beruf oder bei meiner Arbeit, setze ich all mein Vertrauen in Dich.

So gewähre mir Deine allgenügende Hilfe und mache mich von allem unabhängig, o Du, der Du unübertroffen bist in Deinem Erbarmen.

Lasse mir meinen Anteil zukommen, o Herr, wie es Dir gefällt, und mache mich zufrieden mit dem, was Du für mich verordnest.

Dein ist die unumschränkte Befehlsgewalt.”

Báb

Islam

Dann ließen Wir die Erde ihn und sein Haus verschlingen.

Da fand er niemanden, ihm zu helfen vor Gott, und er konnte auch sich selbst nicht helfen.

Welch verstörende Vorstellung: Da tut die Erde sich auf – und verschlingt alles …

Alles, was sicher schien – nur Illusion? Der Koran erzählt von einem Verlust an Autonomie, Macht und Sicherheit, wie er drastischer kaum sein könnte:

Siehe, Korah war vom Volke Moses‘, doch verging er sich gegen sie. Und Wir gaben ihm so viel an Schätzen, dass seine Schatztruhe für eine größere Schar kräftiger Leute eine Bürde gewesen wäre. Als sein Volk zu ihm sprach: „Frohlocke nicht (übermütig), Gott liebt nicht die Frohlockenden. Sondern suche mit dem, was Gott dir gegeben hat, nach der jenseitigen Wohnung, ohne deinen Anteil an dieser Welt zu vergessen. Und tu Gutes, so wie Gott dir Gutes tat, und stifte kein Verderben auf Erden, siehe, Gott liebt nicht die, welche Unheil stiften!“

Da sprach er: „Das (alles) wurde mir in Anerkennung meines Wissens gegeben!“ Wusste er denn nicht, dass Gott bereits vor ihm solche Geschlechter vernichtet hatte, die an Kraft stärker als er waren, und mehr aufgehäuft hatten? […]

Jene nun, die auf das irdische Leben begierig waren, sprachen: „O dass wir doch (auch) besäßen, was Korah gegeben wurde! Er hat wirklich gewaltiges Glück!“ Aber diejenigen, denen das Wissen gegeben war, sprachen: „Wehe euch! Die Belohnung Gottes ist besser für den, der glaubt und das Rechte tut. […]“

Dann ließen Wir die Erde ihn und sein Haus verschlingen. Da fand er niemanden, ihm zu helfen vor Gott, und er konnte auch sich selbst nicht helfen.

Am anderen Morgen sagten jene, die sich tags zuvor an seine Stelle gewünscht hatten: „Sieh nur! Gott versorgt, wen von Seinen Dienern Er will, reichlich, oder bemessen. Wäre Gott uns nicht gnädig gewesen, hätte Er die Erde (auch) unter uns gespalten. Sieh nur! Den Ungläubigen ergeht es nicht wohl.“

Jene zukünftige Wohnung: WIR haben sie für diejenigen bestimmt, welche auf Erden nicht mächtig sein und kein Unheil anrichten wollen. […] [28:76-84]

Ermahnung – Rechtleitung – Versprechen: Die Erzählung aus alter Zeit lehrt mich, jedwede Autonomie, alles, was mit Kontrolle zu tun hat – ist, wie das Leben selbst, ein Geschenk. Ein Geschenk auf Zeit. Ich kann es mir nicht aus eigener Kraft verdienen, und ich habe keinen Anspruch. Und dennoch soll, ja muss ich mein Leben in die Hand nehmen und gestalten. Trotz ungewissem Ausgang. Doch ich lese auch: Wie immer das Ergebnis meiner Bemühungen sein wird, im Vertrauen in Gott wird alles zu einem guten Ende gelangen. Das gibt mir Sicherheit. Und eine Zuversicht, die mir niemand nehmen kann.

Christentum

Der Psalm 23

aus dem Gesang- und Gebetbuch Israels und des Juden Jesus gehört zweifellos zu den bekanntesten Bibeltexten und den beliebtesten. Das mag daran liegen, dass er von Erfahrungen spricht, die alle Menschen teilen. Wir alle wissen: Das Leben läuft nicht immer glatt. Wir kennen die Höhen (die grünen Auen), aber auch die schmerzhaften Tiefen – privat und weltumspannend. Gerade in unseren Tagen mit Pandemie, Heuschreckenplage, Krieg, Flucht, Erdbeben und vieles mehr erleben wir was „Todesschattenschlucht“ – so übersetzt Martin Buber die Psalmzeile vom „finsteren Tal“ – meint, die Menschen durchleiden müssen.

Aber – was immer geschieht, ich kann nicht untergehen, denn du – Gott – bist bei mir, bekennt der Dichter.

Dabei macht es gar nichts, dass er in diesem Psalm Motive einer halbnomadischen Hirtenwelt verwendet, die mit unserer Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat. Dennoch bewegen uns diese archaischen Bilder, gehen zu Herzen und machen uns ruhig; denn:

Der Herr ist mein Hirte;

mir wird nichts mangeln.

Er weidet mich auf einer grünen Aue

und führt mich zum frischen Wasser.

Er erquicket meine Seele;

er führet mich auf rechter Straße

um seines Namens willen.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,

fürchte ich kein Unglück;

denn du bist bei mir,

dein Stecken und Stab trösten mich.

Du bereitest vor mir einen Tisch

im Angesicht meiner Feinde.

Du salbest mein Haupt mit Öl

und schenkst mir voll ein.

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen

mein Leben lang,

und ich werde bleiben im Hause des Herrn

immerdar.

Während die Anfangszeilen an ein Bekenntnis erinnern und eine tiefe Gewissheit formulieren wandelt sich der Text im weiteren Verlauf zu einem Gebet, das Dankbarkeit atmet. Nicht mehr ER weidet mich, erquickt und führt mich, sondern DU tröstest, salbst und schenkst mir ein. Danken und Gewiss-Sein sind Schritte aus der Angst. Vielleicht war diese Erfahrung der Grund für dieses Lied.